
Was ich schon auf der ganzen Kanadareise bemerkt habe, wurde mir von einer Austauschschülerin bestätigt: der Tag endet hier früh. Ihre Gastfamilie isst zwischen 17 und 19 Uhr zu Abend und das war es dann auch. Viele Restaurants schließen hier sogar schon um 21 Uhr.


Der Besuch der Frances Kelsey Secondary School war für mich ganz besonders. Zuerst hat mich Kevin, District Vice Principal, empfangen und mir die Schule gezeigt sowie die Besonderheit dieser Schule erklärt : das self paced learning, was bedeutet, dass die Schüler ihr Lerntempo selbst bestimmen. Die Kurse sind in Learning Guides unterteilt, die die Schüler alleine und in Kleingruppen unter Anleitung und Hilfe der Lehrer bewältigen.


Danach durfte ich in der Lunchbreak zwei deutsche Schülerinnen, Emely und Johanna, treffen, die nun seit zwei Wochen auf diese Schule gehen und Deutschland für eine Zeit lang goodbye gesagt haben. Bewundernswert, wie die beiden sich nach nur zwei Wochen hier schon integriert haben.

Die Frances Kelsey Secondary gehört zum Cowichan School District auf Vancouver Island. Bei Vancouver Island denkt man immer erstmal an eine kleine Insel, die Vancouver vorgelagert ist. Das ist auch so, nur das mit dem klein kommt nicht so ganz hin. Die Insel ist 450 Kilometer lang und 100 Kilometer breit. Der Cowichan School District liegt im Süden der Insel, ca. 30 Minuten von Victoria entfernt, der Hauptstadt von British Columbia.

Überhaupt habe ich das Gefühl, dass sich die britische Kolonialvergangenheit auf Vancouver Island mehr zeigt als auf dem Festland.

Die Schule hat 950 Schüler, davon kommen 60 Schüler aus aller Welt (vor allem aus Mexiko, Frankreich, Dänemark, Brasilien, Taiwan, Norwegen, Ungarn, Türkei, Spanien, Korea, Hong Kong, Schweiz, Finnland, Thailand, China, Japan) und in diesem Schuljahr 6 aus Deutschland.


Die Schule hat wie oben schon erwähnt ein besonderes Unterrichtskonzept: es wird sehr viel Wert auf selbständiges Lernen gelegt. An einem Tag gibt es normalen Unterricht sozusagen, am nächsten Tag sogenannte Study Blocks, bei denen Schüler im Team zusammenarbeiten, wiederholen, was sie nicht verstanden haben, praktische Versuche machen, etc. Es gibt einen offenen Chemie-Physik-Biologie Raum. Für jedes Schuljahr sind verschieden Versuche im Lehrplan vorgesehen. Wann der Schüler welchen Versuch macht und alles was dazu gehört, entscheidet er selbst. Dazu arbeiten die Schüler in Kleingruppen und melden am Vortag den Versuch im Sekretariat an.



Ich habe außerdem eine sehr nette Kunstlehrerin getroffen. Auch sie hat mir erzählt, dass sie beispielsweise lediglich das Thema Wasserfarben vorgibt, wie der Schüler das dann umsetzt, was er darauf machen möchte, etc. bleibt dem Schüler überlassen. Sie meinte, jeder wäre hier, weil er hier sein möchte – das ist doch die beste Voraussetzung für kreatives Arbeiten. Außerdem verschönern die Kunstklassen regelmäßig das Schulgebäude und sehen so ihren Erfolg.





Sport wird in Blöcken unterrichtet. Ein Block geht sechs Wochen, dann wird wieder neu gewählt. Es gibt zum Beispiel Fitness and Conditioning: man trainiert im schuleigenen Fitnessstudio, hat aber auch regelmäßig Unterricht, in dem man lernt wie man einen aktiven und gesunden Lebensstil lebt.


Im nächsten Raum findet gerade eine Yoga Klasse statt. Das Maskottchen der Schule sind die „Breakers“.



Die Sportanlagen der Schule sind wirklich der Wahnsinn. Hier wird Badminton, Basketball, Feldhockey, Rugby, Fußball, Tennis, Volleyball und Eishockey im Team gespielt.



Besonders ist mir auch das Streams and Trails Program aufgefallen, welches Geowisschenschaft, Erdkunde und Kommunikation miteinander vereinbart. Die Schüler lernen im Klassenzimmer und gehen anschließend raus auf den Berg, wo sie neue Wege und Routen planen. Diese wurden beim zuständigen Amt eingereicht und tatsächlich von den Schülern unter Anleitung gebaut. Auch hier wird hands on learning wieder groß geschrieben und die Schüler dürfen etwas Sinnvolles schaffen. Am Ende sieht man ein Ergebnis.

Ich habe hier in Kanada gelernt, dass die Schulen doch sehr unterschiedlich unterrichten. Kevin hat es so ausgedrückt: „The curricular outcomes must be the same, but the journey can be decided by the school“.

Am besten haben mir natürlich die Geschichten unserer Neu-Kanadierinnen gefallen. Ich habe gehört, dass der Weg von der Bushaltestelle noch 25 Minuten zu Fuß nach Hause wäre – ja, Kanada ist wirklich riesig – aber der Busfahrer fährt extra einen Umweg. Das bestätigt wieder meinen Eindruck von extrem freundlichen und zuvorkommenden Kanadiern. In der ersten Schule, die ich besucht habe, war ich noch völlig überrascht und hingerissen, was man hier in einer Schule zu sehen bekommt: professionelle Gastroküchen, vollständig ausgestattete Labore, gut sortierte Bibliotheken, fantastische Sportanlagen, Klassenräume mit topaktueller Technik. Nach der dritten Schule kann ich sagen: das scheint hier Standard zu sein.








Und auch das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist oft freundschaftlich. Eine Schülerin war überrascht, dass ihr Englischlehrer so viel Privates von sich preis gibt, den Schülern von seinem Leben erzählt. Sie hat das Gefühl, viel von ihm als Person lernen zu können, nicht nur von seinem Unterricht. Oder vielleicht gerade so viel von seinem Unterricht, weil er sich darin als Person einbringt und nahbar ist. Mein Fazit: Vancouver Island steht seiner großen Schwester dem Festland in nichts nach. Im Supermarkt riecht es nach frischem Obst, auch hier werden Bio und heimische Produkte wieder groß geschrieben.


Die Menschen leben hier mit und in der Natur und man geht bei jedem Wetter raus. Die Insel ist extrem abwechslungsreich. Es gibt das Meer, Seen, Berge, Tiere. Man hat wieder das Gefühl, einfach alles.


Und in 1,5 Stunden ist man mit der Fähre in der Metropole Vancouver. Dort hat es mich dann am Samstagabend ins Football Stadion verschlagen, wie übrigens viele kanadische Familien. Ein absolutes Familienevent, ein bisschen wie „Wetten, dass…Schauen“ in meiner Kindheit:-) Da gab es Babys in Tragetaschen und Omas in voller Fanmontur. Auf jeden Fall vereint es die ganze Familie. Die Stimmung im Stadion war der Wahnsinn. Ein ganz besonderes Amerikaerlebnis! Das ist übrigens auch das, was ich auf Reisen gerne mache: lieber einen Tourispot weniger abklappern und dafür die Zeit authentisch verbringen, wie es die Einheimischen eben auch tun.
